Gerontostomatologie – nur ein „Zungenbrecher“ oder von enormer Bedeutung für den Dentalmarkt?
Deutschland steht – wie zahlreiche andere Länder – vor großen demographischen Herausforderungen. Die Menschen in diesem Land werden immer älter und für jeden Einzelnen steigt damit das Risiko, eines Tages in die Situation der Pflegebedürftigkeit hineinzurutschen. Marktforschung hilft, diesen Wachstumsmarkt genauer zu beleuchten.
In den Köpfen präsent sind hierbei die klassischen Themen wie fortschreitende Demenz, Immobilität, Inkontinenz oder andere Krankheitsbilder. An den bedeutenden Zusammenhang von Pflegebedürftigkeit und Mundgesundheit wird hierbei aber selten bis gar nicht gedacht. Sowohl bei professionellen Pflegekräften, pflegenden Angehörigen sowie in der Zahnmedizin selbst trifft man immer noch auf die Vorstellung, dass Mundgesundheit in der Pflege keine besondere Rolle spielt.
Gerontostomatologie – nicht zu verwechseln mit Seniorenzahnmedizin
Gerontostomatologie ist kein Synonym für die Seniorenzahnmedizin, welche sich aus mehreren Facetten zusammensetzt. Ein Teilgebiet hiervon ist die geriatrische Zahnmedizin (GZ), also die zahnmedizinische Betreuung der hilfe-und pflegebedürftigen Menschen, genauer gesagt das Fachgebiet Gerontostomatologie. Anlässlich des Tages der Pflege am 12. Mai dieses Jahres haben die BZÄK und KZBV auf die mangelhafte Zahn-und Mundgesundheit Pflegebedürftiger hingewiesen. Und auch gemäß der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie 2016 und des Barmer GEK Pflegereports 2014 wird aufgezeigt, dass ältere Menschen mit Pflegebedarf eine schlechtere Zahn- und Mundgesundheit aufweisen als die gesamte Altersgruppe der älteren Senioren von 75- bis 100 Jahre.
Quelle: https://www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/za/Praev/Publikationen/AltersZHK_zm_2009.pdf
Was macht das Thema Gerontostomatologie so anspruchsvoll?
Oftmals herrschen starke Abweichungen zwischen dem biologischen und kalendarischen Alter, was einen individuellen Umgang mit älteren Patienten nach sich zieht. Senioren sind aber eben nicht gleich Senioren: die Spanne reicht von fitten Älteren über Gebrechliche bis hin zu pflegebedürftigen Patienten. Letztere Gruppe ist geprägt durch ein hohes Alter, geriatrische Multimorbidität und einen großen Hilfe- oder Pflegebedarf. Problematisch ist das besonders mangelhafte Vorsorgebewusstsein älterer Menschen mit einem sehr unregelmäßigen Aufsuchen des Zahnarztes, was jedoch oft nicht grundlos erfolgt. Bestimmte Alterssyndrome - die sogenannten 7 „I“ – bestärken diesen Prozess: Immobilität, Instabilität, Inkontinenz, Intellektueller Abbau, Inappetenz (Malnutrition), Iatrogene Schäden und Isolation.
Während die Wartezimmer der Haus-und Fachärzte mit steigender Lebensspanne immer häufiger besetzt sind, nimmt der Anteil dieser Population in den Zahnarztpraxen ab.
Quelle: Prof. Dr. Ina Nitschke MPH, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin, 2015
Aufsuchende Versorgung bei Menschen mit Pflegebedürftigkeit
Es gibt bereits Ansätze, welche diesem desolaten Mundgesundheitszustand der Pflegebedürftigen entgegenwirken sollen. Ganz im Sinne des Sprichwortes „Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg kommen“ haben sich in den vergangenen Jahren Modelle entwickelt, dass Zahnärzte ihre Patienten aufsuchen dürfen, wenn diese aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit oder Behinderung Zahnarztpraxen nicht mehr oder nur mit hohem Aufwand erreichen.
Im Zuge des GKV Versorgungsstrukturgesetz zur Verbesserung der zahnmedizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen erhalten Zahnärzte beispielsweise durch die eingeführten Bema (Bewertungsmaßstab zahnärztlicher Leistungen)-Positionen eine zusätzliche Vergütung für die aufsuchende Versorgung. KZBV-Daten aus dem Jahrbuch 2014 zeigen, dass die Zahl der Besuche im Jahr 2013 im Vergleich zum Vorjahr von rund 650.000 auf 726.000 Besuche gestiegen ist. Dabei hatten die Besuche bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen im Jahr 2013 einen Anteil von > 70% an allen Besuchen. Des Weiteren nimmt die Zahl der Kooperationsverträge zwischen Zahnärzten und stationären Pflegeeinrichtungen weiter zu (n=1.708 Verträge 2014/2015)
Erkrankungen im Mund – eine Gefahr für die allgemeine Gesundheit der Pflegebedürftigen
Es gibt 5 wesentliche Gründe für die Erhaltung der Mundgesundheit in der Pflege:
- Mundprobleme werden in der Pflege solange ignoriert, bis in Notfallbehandlungen Zähne entfernt werden müssen. Mit der geringen Adaptionsfähigkeit pflegebedürftiger Menschen ist dann jedoch ein Zahnersatz oftmals nicht mehr zu realisieren. Ein Verlust an Kaufunktion und damit einhergehend Malnutrition ist die Folge.
- Wichtige psychische Bedeutung von Ernährung: Ein Verlust der Kaufunktion oder auch Schmerzen im Mundbereich behindern die Nahrungsaufnahme. Eine Magensonde (PEG) kann die psychische Komponente des Essens nicht ersetzen.
- Die Ansammlung von Mikroorganismen in Zahnbelägen und in den Belägen auf dem Zahnersatz hat Einfluss auf die allgemeine Gesundheit. So besteht ein Zusammenhang zwischen der Mundhygiene und Lungenerkrankungen (COPD).
- Dementiell Erkrankte stellen einen größer werdenden Anteil an der Gesamtzahl pflegebedürftiger Menschen dar. Diese haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von mehreren Jahren und benötigen deshalb keine provisorischen Lösungen, sondern eine strukturierte Prävention für eine längere Spanne.
- Die Behandlung akuter Schmerzen bei pflegebedürftigen Menschen ist schwierig zu organisieren.
Aufgrund mangelnder Prophylaxe und Zahnarztbesuche ergeben sich weitere Probleme und Krankheiten bei pflegebedürftigen Menschen: atrophierte Kieferverhältnisse, Knochendestruktionen, Schleimhautveränderungen, starke Bissabsenkung mit jahrelangen muskulären Fehlsteuerungen, Xerostomie (Mundtrockenheit), Parodontopathien, Gingivitis (Zahnfleischentzündungen), Zahnhalskaries, Abszesse, Ulzera, fehlende Zähne, Periimplantitis, Implantatversagen, makroskopische Zahnveränderungen, verschlechterte Kaueffizienz, Weichteilläsionen.
Weitere Herausforderungen für Zahnärzte können sein:
Schwierige Hygienevoraussetzungen, erschwerte Voraussetzungen für operative Eingriffe aufgrund des gesundheitlichen Allgemeinzustandes der Pflegebedürftigen, steigende Zahl der dementen Patienten, die selten spontan über Schmerzen klagen und sich schlecht an schmerzhafte Episoden erinnern können (siehe auch PAIAD-Scale zur Beurteilung von Schmerzen bei Demenz, BESD berücksichtigt Atmung, negative Lautäußerung, Gesichtsausdruck und Körpersprache).
Zahnärzte müssen sich fragen, wie ein gut funktionierender Zahnersatz mit einfacher Handhabung für das Einsetzen und Herausnehmen der Prothetik zur Entlastung der Pflegepersonen aussieht; Mundtrockenheit ist für Pflegebedürftige per se nicht nur störend, sondern Ausgangspunkt für Folgeerkrankungen wie Karies, Candidiasis (Infektion durch Pilze), Geschmacksstörungen, Kau-Schluckprobleme, Zahnfleischentzündungen, Sprechprobleme und Schlafstörungen. Entzündungen im Mundraum können eine Eintrittspforte für eine hämatogene, bakterielle Streuung sein; das Ergebnis eines infektiösen Verlaufs kann das Bild einer Endokarditis darstellen, was mit einer hohen Letalität einhergeht.
Derzeitiger Stand der Mundgesundheit bei Menschen mit Pflegebedarf
Fest steht, dass Menschen mit Pflegebedürftigkeit eine höhere Karieserfahrung (24,5 vs. 21,6 DMF-Zähne) und weniger eigene Zähne (22,4 vs. 17,8 fehlende Zähne) aufweisen als die gesamte Altersgruppe der älteren Senioren.
Während lediglich ein Drittel der 75- bis 100-Jährigen keine eigenen Zähne mehr hat, ist heute bei den Menschen mit Pflegebedarf in dieser Altersgruppe jeder Zweite zahnlos. Die verbleibenden eigenen Zähne sind weniger funktionstüchtig und weisen auch einen höheren Behandlungsbedarf auf. Auffällig ist zudem, dass pflegebedürftige ältere Senioren zwar prothetisch versorgt sind, im Vergleich aber häufiger über einen herausnehmbaren Zahnersatz verfügen.
Quelle: https://www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/dms/Zusammenfassung_DMS_V.pdf
Therapiefähigkeit: Nur 17,5% der Menschen mit Pflegebedarf können uneingeschränkt zahnmedizinisch behandelt werden. Jeder zweite Mensch mit Pflegebedarf ist in seiner Therapiefähigkeit in der Regel eingeschränkt. Teilweise kann eine zahnmedizinische Behandlung unter ambulanten Bedingungen nicht mehr stattfinden.
Mundhygienefähigkeit: 30% der Menschen mit Pflegebedarf können sich nicht mehr selbst um die Pflege ihrer Zähne und Zahnprothesen kümmern und benötigen Hilfe bei der täglichen Mundhygiene.
Eigenverantwortung: 60% der Menschen mit Pflegebedarf sind nicht mehr in der Lage, eigenständig einen Zahnarzttermin zu organisieren und selbstständig eine Praxis aufzusuchen.
Psyma Dental CARE:
Gerade weil es in dieser Thematik noch sehr viele „weiße Flecken“ auf der zahnärztlichen Landkarte gibt, hat Psyma Health & CARE es sich innerhalb des Spezialgebietes Dental CARE mit Fokus auf Marktforschung im Bereich Gerontostomatologie zur Aufgabe gemacht, Antworten auf Fragen zu geben, die sowohl auf der Seite der zahnmedizinischen Berufe, aber vor allem auch aus der Richtung der Pflege kommen. Im Mittelpunkt der Marktforschungsaktivitäten stehen Menschen mit Pflegebedürftigkeit selbst, Einrichtungsleitungen und professionell Pflegende, welche sich in ihrer täglichen Arbeit mit der Mundhygiene von Patienten oder Bewohnern in stationären Einrichtungen oder bei ambulanten Visiten auseinandersetzen müssen. Aber auch pflegende Angehörige sehen sich immer häufiger vor Herausforderungen: wie stelle ich zuhause die tägliche Mundhygiene meines Pflegebedürftigen sicher, um Zahnprobleme zu reduzieren?
Wir von Psyma wissen, wie die Zielgruppen ticken und welchen Beitrag Unternehmen aus der Dentalindustrie zu den täglichen Herausforderungen der Mundhygiene bei Pflegebedürftigkeit beitragen können.